Holzspielstrategie. Ein Mann im Anzug hält einen Bauklotz mit dem Finger fest

Rechtliche Fragen bei Auffälligkeiten und Intervention

Dieser Bereich behandelt die rechtlichen Fragen bei Auffälligkeiten am Arbeitsplatz und bei der Intervention. Die Intervention bei gesundheitlichen und /oder sozialen Auffälligkeiten ist aus Sicht der betrieblichen Suchtprävention ein Teil der Fürsorgepflicht. Rechtlich gesehen handelt es sich aber um einen Eingriff in die Intimsphäre der beschäftigten Person.

Der Arbeitgeber bzw. die Arbeitgeberin hat eine gesetzliche Fürsorgepflicht, dem bzw. der Arbeitnehmenden kommt eine Sorgfaltspflicht zur Verhütung von Arbeitsunfällen zu. Eine Verantwortung tragen beide Seiten. In akuten Situationen bilden die  „Unfallverhütungsvorschrift Grundsätze der Prävention“ (DGUV Vorschrift 1) die Grundlage zum Handeln für Unternehmen bzw. für den öffentlichen Dienst.

Das Interventionsverfahren bei akuter Gefährdung der Sicherheit bei der Arbeit aufgrund akuter Beeinflussung durch berauschende Mittel und Medikamente wird in Kapitel 11.2 auf S. 196 der Qualitätsstandards der DHS (2022) beschrieben. Folgende Hinweise Hinweise auf das Vorgehen in der Praxis finden Sie in der Broschüre "Suchtprobleme am Arbeitsplatz. Eine Praxishilfe für Personalverantwortliche" auf Seite 42:

Bei äußerlichen Anzeichen, dass ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin unter Einfluss berauschender Mittel steht oder die Reaktion und Wahrnehmung durch Medikamente beeinträchtigt sein könnten, muss der oder die Vorgesetzte entscheiden, ob die betroffene Person ohne Gefahr für sich und andere arbeiten kann.

  • Der oder die Vorgesetzte trifft die Entscheidung aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung und dem „Beweis des ersten Anscheins“ bei der betroffenen Person. Ein Test ist nicht erforderlich. Mit „Beweis des ersten Anscheins“ wird gemeint, dass konkrete Verhaltensauffälligkeiten vorliegen müssen. Das können unkontrollierter Gang, lallende Sprache, aggressives Verhalten oder eher unspezifisch mangelnde Konzentration oder verlangsamte Reaktion sein. Eine Alkoholisierung des oder der Beschäftigten ist nach der allgemeinen Lebenserfahrung vielleicht noch erkennbar, bei anderen Substanzen oder gar Medikamenten, die die Leistungsfähigkeit einschränken, ist dies aber nicht mehr lebensnah. Es kommt aber auch gar nicht darauf an, zu erkennen welche Substanzen konsumiert wurden (das liegt ohnehin nicht in der Zuständigkeit einer Führungskraft), sondern auffälliges Verhalten gegenüber dem gewöhnlichen Verhalten des oder der beschäftigten Person zu erkennen. Eine schriftliche Dokumentation des auffälligen Verhaltens sollte erfolgen. 
  • Dabei ist der oder die Vorgesetzte auch angehalten, Hinweisen aus dem Mitarbeitendenkreis nachzugehen. Es ist aber auch erforderlich, sich ein eigenes Bild zu machen.
  • Eine Beeinträchtigung der Arbeitssicherheit kann auch durch suchtbedingtes Verhalten begründet sein, es muss nicht immer Substanzkonsum vorliegen (z. B. Übermüdung durch Glücksspielsucht).
  • Als Beweishilfe werden weitere Personen hinzugezogen, z. B. Betreibs- / Personalräte.
  • Die betroffene Person hat das Recht einen Gegenbeweis anzutreten, z. B. durch einen Test auf Suchtmittelkonsum. Bei Medikamenteneinnahme können Betriebsärzte oder -ärztinnen, Arbeitsmediziner oder -medizinerinnen oder niedergelassene Ärzte / Ärztinnen die Arbeitsfähigkeit bestätigen. Das Ergebnis eines Gegenbeweises ist unmittelbar (innerhalb von zwei Stunden nach der Ansprache durch den oder die Vorgesetzte) in schriftlicher Form vorzulegen. Der der die Vorgesetzte hat die betroffene Person auf die Möglichkeit des Gegenbeweises hinzuweisen. 
  • Bestehen Auffälligkeiten trotz erbrachtem Gegenbeweis fort, kann die Führungskraft im Zweifelsfall entscheiden, den oder die Beschäftigte nicht einzusetzen. Der betroffenen Person dürfen hierdurch aber keine Nachteile entstehen.
  • Entscheidet der Arbeitgeber oder die Arbeitgeberin, eine auffällige Person vom Arbeitsplatz zu entfernen („nach Hause zu schicken“), so trägt er die Verantwortung für den sicheren Heimweg bis zur Wohnungstür. Wenn ein Heimtransport durch den Arbeitgeber veranlasst wird, so hat der oder die Betroffene die Kosten zu tragen.
  • Ein Anspruch auf Entgelt besteht nicht, wenn der oder die Beschäftigte aufgrund eigenen Verschuldens nicht arbeits- bzw. dienstfähig ist.

Bei gesundheitsbezogenen Gesprächen durch Personalverantwortliche, Anlässen der betrieblichen Intervention, dem Persönlichkeitsschutz sowie bei Hilfsangeboten, Auflagen und Sanktionen in Verbindung mit Stufengesprächen, dem Vorrang übergeordneter Rechte wie dem Kündigungsschutz und der Berücksichtigung der dienstrechtlichen Voraussetzungen für Beamte sind jeweils die rechtlichen Anforderungen im Einzelnen zu beachten.

Es ist zu beachten, dass eine Intervention bei Auffälligkeiten am Arbeitsplatz durch Personalverantwortliche nur erfolgen darf, wenn

  • „eine Vernachlässigung arbeitsvertraglicher oder dienstrechtlicher Pflichten vorliegt oder konkret absehbar ist;
  • Störungen im Arbeitsablauf und/oder im Arbeitsumfeld verursacht werden;
  • davon auszugehen ist, dass arbeitsbedingte Faktoren mit verursachend sein könnten bei der Entstehung der Probleme, die den Auffälligkeiten zugrunde liegen“.

(Vgl. "Qualitätsstandards in der betrieblichen Suchtprävention der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen")

Wenn festgestellte Auffälligkeiten eindeutig mit dem Gebrauch von Substanzen oder suchtbedingtem Verhalten in Verbindung stehen, sollte immer eine Intervention nach dem Stufenplan erfolgen. 

In Deutschland gilt das Recht auf freie Arzt- und Behandlungswahl. Eine mit Sanktionen verbundene Auflage von betrieblicher Seite, eine vorgegebene Beratung oder Therapie aufzusuchen ist rechtlich nicht zulässig. Während der Intervention nach dem Stufenplan ausgesprochene Aufforderungen, eine Beratungsstelle oder Therapieeinrichtung aufzusuchen, müssen als Hilfeangebot zu erkennen sein. Die Aufforderung kann in fortgeschrittenen Gesprächen des Stufenplans auch mit Nachdruck empfohlen werden, die Nichtannahme des Hilfsangebots ist nach geltendem Recht aber disziplinarisch nicht zu beanstanden. Arbeitsrechtliche Konsequenzen werden durch das Ablehnen von Angeboten nicht gerechtfertigt. Allerdings können fortgesetzte Verstöße gegen arbeitsvertragliche Pflichten sanktioniert werden.

Arbeitgebende bzw. betriebsinterne Suchtberatungsstellen haben auch keinen Anspruch über einen Nachweis für das Aufsuchen einer Beratungsstelle. Allerdings können Mitarbeitende verbindlich aufgefordert werden, sich im Sinne des erweiterten Arbeitsschutzes zur Abwendung gesundheitlicher Gefährdungen durch interne Beratungskräfte oder Ansprechpersonen über Risiken des Substanzkonsums oder suchtbedingten Verhaltens sowie Beratungsangebote informieren zu lassen.  

Die Gespräche nach einem Interventionsleitfaden unterliegen dem besonderen Persönlichkeits- und Vertrauensschutz. Die Teilnahme weiterer Personen ist nur mit Einverständnis des Arbeitnehmenden möglich. Das können Betriebs-/Personalräte sein, Schwerbehindertenvertretung oder Gleichstellungsbeauftragte. Es gilt auch für interne oder externe Beratungspersonen in der Sucht- oder Sozialberatung, ausgenommen sie vertreten den Arbeitgebenden. Auch Vertrauenspersonen des / der Arbeitnehmenden können durch diesen/diese hinzugezogen werden.

Da der Stufenplan ab dem dritten Gespräch eine intensive Fallbegleitung vorsieht und im Konzept der Intervention die Teilnahme weiterer Personen vorsieht, muss also immer ein Einverständnis des / der Arbeitnehmenden vorliegen. Auch Kontakte während einer stationären Therapie sind nur mit Einverständnis der betroffenen Person zulässig. 

Da übergeordnete Rechtsvorschriften wie der Kündigungsschutz immer berücksichtigt werden müssen, können ein Interventionskonzept wie der Stufenplan oder Betriebs- und Dienstvereinbarungen niemals eigens zu einer Kündigung führen. Nach dem Kündigungsschutzrecht ist immer die Angemessenheit im Einzelfall zu prüfen. Das bedeutet, dass es auch auf der letzten Stufe des Stufenplans bei weiteren zusätzlichen Verstößen gegen Vertragspflichten nicht automatisch zu einer Kündigung kommt. Es ist stets ein Kündigungsverfahren einzuleiten.

Aus dem Dienstverhältnis von Beamten und Beamtinnen ergeben sich besondere Pflichten, die von den arbeitsrechtlichen Verpflichtungen deutlich abweichen. Beamte sind verpflichtet, zum Erhalt ihrer Gesundheit beizutragen. 

Dadurch können Beamte vom Dienstherrn durchaus aufgefordert werden, sich in Beratung und in Behandlung zu begeben und darüber Nachweise zu erbringen. Bei Arbeitenden und Angestellten ist dies rechtlich nicht möglich.

Verstöße gegen die dienstrechtlich begründeten Pflichten können disziplinarisch belangt werden. Das Vorgehen bei Auffälligkeiten liegt im Ermessen des Dienstvorgesetzten, der oder die sich bei Entscheidungen an vereinbarte Stufenpläne halten kann und somit die Gleichbehandlung der Beschäftigten wahrt.

Besonders hervorzuheben ist, dass für Beamte und Beamtinnen, die aufgrund einer Suchterkrankung eine Entwöhnungstherapie durchlaufen haben, die Annahme gilt, dass ein erneuter Konsum ein selbstverschuldeter Rückfall ist. Denn während der Therapie wurde gelernt, dass nur Abstinenz die Krankheit zum Stillstand bringen kann, so die Annahme. Bei einem selbstverschuldeten Rückfall können disziplinarrechtliche Konsequenzen bis hin zu einer Aberkennung der Ruhestandsbezüge gehen.

Sobald genügend Anhaltspunkte bekannt geworden sind, die den Verdacht eines Dienstvergehens begründen, ist ein Disziplinarverfahren nach dem Legalitätsprinzip zwingend einzuleiten. Für den Stufenplan bedeutet dies z. B., dass für ein erstes Stufengespräch nicht verbindlich zugesichert werden kann, dass es ohne disziplinarische Konsequenzen bleibt. Denn bei Verstoß gegen dienstrechtliche Pflichten muss bereits eine Vorermittlung zum Disziplinarverfahren eingeleitet werden. Der Stufenplan kann auch nicht festlegen, dass bei positiver Verhaltensänderung keine weiteren Folgen entstehen, auch dieses muss wiederum durch die Einstellung des Disziplinarverfahrens geregelt werden. Die Entscheidung und Zuständigkeit obliegt dem oder der Dienstvorgesetzten.

Betriebliche Interventionskonzepte und auch Dienstvereinbarungen müssen immer berücksichtigen, dass die spezifischen Bundesdisziplinargesetze bzw. Landesdisziplinargesetze übergeordnetes Recht sind und durch betriebliche Regelungen nicht eingeschränkt werden können.

Literaturempfehlungen

Bertling, M.; Münster, G. (2024)
Disziplinarrecht: Beamter, Alkoholabhängigkeit und Dienstvergehen.
Online: URL: https://www.michaelbertling.de/disziplinarrecht/dienstvergehen/alkohol.htm 
(Abruf 14.11.2024)

Cannabis in Betrieb und Behörde (7/2024)
Gesetzliche Regelungen und Handlungsempfehlungen.
Bund-Verlag Extra zur Legalisierung von Cannabis.
Frankfurt

Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (Hrsg.) (2022) 
Qualitätsstandards in der betrieblichen Suchtprävention und Suchthilfe der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS). Ein Handbuch für die Praxis.
Hamm.
Online Verfügbar: Link zum PDF

Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (Hrsg.) (2020)
Suchtprobleme am Arbeitsplatz. Eine Praxishilfe für Personalverantwortliche.
Hamm.
Online verfügbar: Link zum PDF

Müller, S. (2020)
Suchtmittel am Arbeitsplatz.
Baden-Baden, Nomos Verlag.