Traurige und müde junge Ärztin oder Krankenschwester, die auf dem Boden sitzt und ein Handy ans Ohr hält

Betriebliches Unterstützungssystem

Die Beratung und Hilfe bei Suchtfragen kann betriebsintern unterschiedlich organisiert werden. In der betrieblichen Praxis gibt es nebenamtliche Ansprechpersonen oder Suchtbeauftragte in hauptamtlich besetzen Einrichtungen. Ihre interne und externe Vernetzung ist für die Organisation des Unterstützungssystems und den Erfolg ihrer Arbeit wichtig.

Die betriebsinterne Beratung und Hilfe kann unterschiedlich organisiert sein. Das Spektrum reicht dabei von einer Suchtberatung durch eine nebenamtliche Ansprechperson ohne Freistellung bis hin zu hauptamtlichen Stellen in internen Sozialberatungen. Bei der Organisation der Suchtberatung können vier Modelle voneinander unterschieden werden:

  • nebenamtliche Beratung durch Ansprechpersonen für Suchtfragen
  • hauptamtliche Beratung durch einschlägig qualifizierte betriebliche Sozial- oder Suchtberatende
  • Kombination aus haupt- und nebenamtlicher Beratung
  • Beauftragung eines externen Dienstleistenden

Für das Unternehmen eröffnet die Schaffung einer internen Beratung zahlreiche Vorteile. Sie trägt nicht nur zur Gesundheitsförderung und Qualität der Arbeit bei, gesundheitliche Gefährdungen wie Arbeitsunfälle werden vermieden.

Untersuchungen deuten daraufhin, dass sich eine Einrichtung interner Beratung für Unternehmen rechnet.

Nebenamtlich tätige Ansprechpersonen nehmen neben ihren Kernaufgaben im Betrieb Beratungsaufgaben im Bereich der betrieblichen Suchtprävention und -hilfe wahr. Es gibt unterschiedliche Aufgabenzuschnitte dieser nebenamtlichen Tätigkeit:

  • Ansprechpersonen für Suchtfragen im Betrieb (AfS) sind nebenamtlich mit Aufgaben in der betrieblichen Suchtprävention und -hilfe beauftragt. Sie werden für diese Aufgabe nach aktuellen Qualitätsstandards qualifiziert. Die AfS arbeiten eng mit den internen Beratungs- und Fachkräften bzw. mit externen Einrichtungen im Unterstützungssystem zusammen.
  • Kollegiale Ansprechperson übernehmen Aufgaben der Beratung und Betreuung von suchtbedingt auffälligen Mitarbeitenden und Informationsverbreitung im Arbeitsumfeld. Meist nehmen sie ihre Aufgaben als Ergänzung zu einer hauptamtlichen Beratungskraft wahr. In kleineren Unternehmenseinheiten ohne hauptamtliche Beratung können ihre Aufgaben auch weiter gefasst sein.
  • Soziale Ansprechperson stehen Beschäftigten für Beratung bei gesundheitlichen, psychischen und/oder sozialen Problemen zur Verfügung. Ihr Beratungskonzept ist dementsprechend weit gefasst. Sucht(mittel)bedingte Probleme können ebenso wie Stress und andere gesundheitsbezogene Themen angesprochen werden.

In der Organisation ihrer nebenamtlichen Tätigkeit gibt es Modelle, bei denen mit Ansprechpersonen feste Freistellungskontingente vereinbart werden. In anderen Modellen werden sie von ihrer hauptamtlichen Tätigkeit nach Bedarf freigestellt. Für die Durchführung ihrer beratenden Tätigkeit müssen entsprechende Voraussetzungen im Betrieb geschaffen werden, zum Beispiel eigene Räumlichkeiten.

Der Aufgabenbereich sollte im Unternehmen klar definiert sein. Das zuständige Steuerungsgremium bzw. der Arbeitskreis sollte die Aufgaben abstimmen und festlegen. Es ist sinnvoll, die Aufgaben in einer Betriebsvereinbarung bzw. Dienstvereinbarung festschreiben.

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Zu den Aufgaben der Ansprechpersonen gehören insbesondere

  • die Beratung von sucht(mittel)auffälligen Beschäftigten und die Beratung von Führungskräften für den Umgang mit Auffälligen,
  • die Unterstützung von Beschäftigten bei der Annahme von Hilfsangeboten und die Vermittlung in externe Facheinrichtungen,
  • die Wahrung der Schweigepflicht bei allen Beratungsleistungen,
  • die Zusammenarbeit mit hauptamtlichen Ansprechpersonen sowie anderen Fachkräften des Gesundheitsmanagements im Betrieb,
  • das Mitwirken an Maßnahmen der betrieblichen Suchtprävention und der betrieblichen Gesundheitsförderung,
  • die Mitarbeit im Steuerungsgremium bzw. Arbeitskreis sowie fachlichen Netzwerken außerhalb des Unternehmens und Kontakt zum regionalen Versorgungssystem der Suchthilfe.

Ansprechpersonen für Suchtfragen sollten für die Übernahme von Beratungsaufgaben persönlich geeignet sein und über die nötige fachliche Qualifikation verfügen.

Die Betriebsgröße und –struktur liefern Anhaltspunkte dafür, ob eine hauptamtlich besetzte Einrichtung zu empfehlen ist. Die Ausgestaltung kann nicht allein aus der Beschäftigtenzahl abgeleitet werden. Umfang und Aufgabenspektrum der Beratung sind ebenfalls maßgeblich. Als Orientierungshilfe kann davon ausgegangen werden, dass eine in Vollzeit besetzte hauptamtliche interne Beratung auf 2000 bis 3000 Beschäftigte kommt, insbesondere wenn eine Ausweitung der Beratungsaufgaben auf andere Sozialbereiche besteht. Nach den „Qualitätsstandards in der betrieblichen Suchtprävention und Suchthilfe der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) kann schon ab 1000 Mitarbeitenden ein Bedarf für eine interne hauptamtliche Beratung bestehen.

Die konkreten Aufgaben für die interne Beratung werden vom zuständigen Steuerungsgremium bzw. Arbeitskreis abgestimmt. In der Betriebs- bzw. Dienstvereinbarung und/oder der Stellenbeschreibung werden diese Aufgaben schriftlich festgelegt. Die Aufgaben umfassen über die Beratung der Beschäftigten zu Suchtfragen und der Führungskräfte zum Umgang mit Auffälligkeiten am Arbeitsplatz hinaus insbesondere:

  • Organisation, Planung und Durchführung von Präventionsmaßnahmen im Betrieb, in Abstimmung mit dem Steuerungsgremium. Dazu gehören auch das Informieren der Beschäftigten und das Durchführen von Seminaren (insbesondere für Führungskräfte).
  • Ermitteln von (in der Arbeit liegenden) Ursachen für riskanten Konsum und Unterbreitung von Vorschlägen zur Beseitigung der Ursachen.
  • Beachtung der rechtlichen Bestimmungen und weisungsfreie fachliche Beratung. Wahrung der Schweigepflicht.
  • Zusammenarbeit und Vernetzung mit anderen internen Einrichtungen im Bereich des betrieblichen Gesundheitsmanagements, insbesondere Arbeits- und Gesundheitsschutz, und dem betrieblichen Eingliederungsmanagement, Gesundheitsförderung und Personal- und Organisationsentwicklung.
  • Kooperation mit externen Beratungsstellen sowie therapeutischen Einrichtungen.
  • Geschäftsführung bzw. Koordinierung des Steuerungsgremiums.
  • Gegebenenfalls das Koordinieren der Arbeit von nebenamtlichen Ansprechpersonen.
  • Erfüllung von Auswertungs- und Berichtspflichten über die Tätigkeiten der Einrichtung (keine Beratungsinhalte) gegenüber der Unternehmensleitung sowie Maßnahmen zur Qualitätssicherung, Weiterbildung und Supervision.

Für die Erfüllung der festgeschriebenen Aufgaben müssen im Betrieb entsprechende Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, die sich sowohl auf die Besetzung der Stelle/n bezieht (zeitlicher Umfang und Qualifikation) als auch auf die Rahmenbedingungen der Einrichtung mit Ausstattung entsprechender Räumlichkeiten sowie die Möglichkeit kontinuierlicher Supervision, Fort- und Weiterbildung.

Um den Anforderungen an hauptamtliche Beratende im Rahmen der betrieblichen Suchtprävention gerecht zu werden, sollten die Beratenden über einen Hochschulabschluss der Fachrichtungen Psychologie, Pädagogik, Soziologie, Sozialpädagogik, Sozialarbeit bzw. eine vergleichbare Berufsqualifikation vorweisen können. Darüber hinaus sind

  • einschlägige fachliche Qualifikationen erforderlich (z. B. Kenntnisse der aktuellen Konzepte betrieblicher Suchtprävention, Überblick über Suchtkonzepte, Fähigkeit zur Erarbeitung von Präventionskonzepten und –maßnahmen, Kenntnisse der Versorgungsstrukturen und des Case-Managements),
  • Beratungskompetenzen (z. B. Arbeit mit aktuellen Beratungsansätzen, ressourcenorientierte und lösungsorientierte Ansätze, Kenntnis der Konzepte zur individuellen Konsumreduzierung, Erfahrung mit der Beratung im Rahmen betrieblicher Interventionskonzepte),
  • persönliche und soziale Kompetenzen (z. B. Fähigkeit und Bereitschaft zur Kommunikation, Empathiefähigkeit, Konfliktfähigkeit und mediative Kompetenz),
  • Feldkompetenzen (z. B. Kenntnis der Strukturen von Wirtschafts- und Verwaltungsorganisationen, Überblick über die betrieblichen Leitlinien und Prozesse, Akzeptanz der betrieblichen Ziele in der Suchtprävention und –hilfe, Kenntnisse der rechtlichen Rahmenbedingungen und betrieblichen Regelungen) und
  • strategische Kompetenzen (z. B. Flexibilität in komplexen und sich verändernden Systembedingungen, Verhandlungsfähigkeit, Fähigkeit zur Förderung und Integration des Suchtpräventionsprogrammes in die betrieblichen Strukturen).

Für die Ansprechpersonen für Suchtfragen ist es unerlässlich, sich im Betrieb mit anderen Fach- und Beratungskräften, die sich für den Erhalt und die Förderung der Gesundheit der Mitarbeitenden einsetzen, zu vernetzen und mit ihnen konstruktiv zusammenzuarbeiten. Eine aktive und kontinuierliche Kooperation bietet die Chance, ein kompetentes breit aufgestelltes Unterstützungssystem zu etablieren. 

Mögliche Beteiligte am betrieblichen Unterstützungssystem je nach Struktur und Größe des Betriebes:

  • Suchtberatung / -beauftragte, / Ansprechpersonen für Suchtfragen
  • Sozialberatung / Beratung für Mitarbeitende und Führungskräfte
  • Gesundheitsmanagement /Gesundheitsförderung
  • Betriebsarzt, -ärztin / Betriebsärztlicher Dienst
  • Personalabteilung / Personalmanagement
  • Betriebsrat/ Personalrat
  • Schwerbehindertenvertretung
  • Fachkraft für Arbeitssicherheit, Arbeitsschutz
  • Personalentwicklung / Weiterbildung
  • BEM-Beauftragte, BEM-Team
  • Integrationsbeauftragte:r
  • Gleichstellungsbeauftragte:r
  • ...

Darüberhinaus kann über eine Kooperation mit externen Einrichtungen und Leistungsträgern weitere Unterstützung organisiert werden, u.a. mit:

  • Beratungs- und Therapieeinrichtungen
  • Integrationsamt, Integrationsfachdienste
  • Krankenkassen, Unfallversicherer  

Eine transparente Übersicht über die verschiedenen Angebote der beteiligten Stellen trägt dazu bei, die Sichtbarkeit und Wirksamkeit der betrieblichen Prävention zu erhöhen. Sie erleichtert die Etablierung eines abgestimmten Case-Managements, insbesondere wenn es im im Einzelfall um den Umgang mit gesundheitlichen Gefährdungen oder Einschränkungen von Beschäftigten geht, die auf betriebliche Beratung und Unterstützung für den Erhalt oder für die Wiederherstellung der Gesundheit und Arbeitsfähigkeit angewiesen sind.

Für eine reibungslose Kooperation innerhalb des betrieblichen Unterstützungssystems ist die klare Zuweisung der Aufgaben und Kompetenzen an den jeweiligen Schnittpunkten der Zusammenarbeit sinnvoll. Für die notwendige Rollenklärung und Zielabstimmung sollten zudem gemeinsame Workshops und begleitende Supervisionsangebote vorgesehen werden.

Für die erfolgreiche Arbeit des betrieblichen Suchtpräventions- und –hilfesystems ist eine Vernetzung mit externen Einrichtungen und Institutionen sinnvoll.

Neben Beratungsstellen, Facheinrichtungen der Suchttherapie und Suchtberatung gehören dazu Krankenkassen und Unfallversicherungen. Betriebliche Initiativen und Aktivitäten, die der Vorbeugung gesundheitlicher Gefährdungen dienen, werden von diesen Institutionen unterstützt und gefördert. Das geschieht in der Praxis z. B. durch die Bereitstellung von Präventionsmaterialien, der Unterstützung bei Gesundheitstagen oder beim Aufbau und der Durchführung von Suchtpräventionsprogrammen.

Ebenso wichtig ist die Anbindung an regionale Netzwerke oder Arbeitskreise zur Suchtprävention am Arbeitsplatz. Sie ermöglichen den fachlichen Austausch, Abstimmung von Konzepten und Projekten sowie den Austausch mit Wissenschaft und Forschung bis hin zur Planung und Durchführung fachlicher Weiterqualifizierung.

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Literaturempfehlungen

Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (Hrsg.) (2022) 
Qualitätsstandards in der betrieblichen Suchtprävention und Suchthilfe der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS). Ein Handbuch für die Praxis.
Hamm.
Online Verfügbar: Link zum PDF

Wienemann, E. (2000)
Vom Alkoholverbot zum Gesundheitsmanagement. Entwicklung der betrieblichen Suchtprävention von 1800 bis 2000
Stuttgart: Ibidem-Verlag.